Viele Unternehmer in Nordwestmecklenburg sind verunsichert, wie sich die Lage auf dem Energiemarkt, speziell bei Strom und Gas in den kommenden Monaten entwickeln wird. Einer, der zwar kein Hellseher ist, aber tief in der Materie steckt, ist Heiner Wilms, Chef der Grevesmühlener Stadtwerke.

 

Herr Wilms, wie schätzen Sie die Versorgungslage derzeit in Deutschland und speziell in Nordwestmecklenburg bei Strom und Gas ein?

Im Moment schätze ich die Lage als relativ stabil ein. Im Gasbereich gilt aktuell die so genannte Alarmstufe. Das heißt, die Angebotssituation ist knapp, die Nachfrage sehr hoch, aber es ist noch genug Gas da. Zurzeit verzeichnen wir relativ starke Preissteigerungen, weil viel Gas nachgekauft werden muss. Dies führt auch auf Kundenseite zu erheblichen Preiserhöhungen. Aber auf der anderen Seite haben wir wenigstens noch genug. Wichtig dabei ist auch zu erwähnen, dass die Speicher in Deutschland sich jetzt der 90-Prozent-Marke nähern. Das heißt, wir werden wohl die Zielgröße von 95 Prozent so etwa Anfang November erreichen. Ob wir damit über den Winter kommen ist allerdings eine ganz andere Frage. Das hängt nämlich ganz stark vom Wetter ab. Wenn es zum Beispiel im Januar eine ganz kalte Wetterlage gibt, wo wir über längere Zeiträume sehr hohe Minustemperaturen haben, plus scharfem Ostwind, könnte das trotz der gefüllten Gasspeicher eng werden.

Im Strombereich sieht es so aus, dass wir auch hier stark steigende Preise haben. Das hängt damit zusammen, dass die Märkte, an denen der Strom gehandelt wird, genauso abhängig sind von den verschiedenen Einkaufsszenarien. Wir haben glücklicherweise die Entscheidung getroffen, dass unsere Kohlekraftwerke in Deutschland wieder mit ans Netz gehen. Ein Problem stellt nach wie vor die Abschaltung der verbliebenen Atomkraftwerke dar – dieser Strom wird uns fehlen und führt natürlich auch zu einer Nervosität an den Börsen.

 

Nehmen Sie noch neue Gewerbekunden bei den Stadtwerken auf?

Derzeit haben wir ein großes Problem damit, weitere Kunden aufzunehmen. Das gilt sowohl für Gewerbekunden, Industriekunden aber auch Privatkunden. Das hängt ganz einfach damit zusammen, dass uns derzeit keine Angebote von Seiten der Vorlieferanten, Gasimporteure gemacht werden. Also heißt das, aktuell können wir leider keine weiteren Kunden aufnehmen.

 

Wir werden sich die Preise für Strom und Gas aus Ihrer Sicht in den nächsten Monaten entwickeln?

Das ist sehr spekulativ. Allerdings: Wenn sich die Situation so wie sie im Moment sich darstellt weiter verschärfen sollte, rechne ich bei der Preisentwicklung mit weiteren Steigerungen. Auf der einen Seite haben wir die Umlagen, die Herr Habeck uns in Bezug auf die Gaspreise mit ins Buch geschrieben hat und die wir einkassieren müssen. Auf der anderen Seite sind die Umlagen nicht alles, es muss zusätzlich beschafft werden – in vom Winterwetter abhängiger Menge. Diese zusätzliche Beschaffung wird die Preise weiter anziehen und diese Gefahr ist nach wie vor im Raum. Inwiefern die Bundesregierung hier gegensteuert, muss abgewartet werden.

 

Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit von Lieferengpässen und sogar Blackouts diesen Winter ein?

Lieferengpässe kann es geben, wenn die Gasspeicher nicht voll sind. Bisher sind diese jedoch besser gefüllt als gedacht. Wie gesagt, wir kalkulieren immer Durschnittswinter, ein statistisches Mittel von zehn Jahren, danach kauft man ein. Wenn es kälter wird, müssen wir zukaufen, was zu Lieferengpässen führen kann. Wird es wärmer als im Durchschnitt, wirkt dies auch entspannend. Das sind Dinge, die man nicht vorhersehen kann.

Sollte es zu Lieferengpässen kommen, kann das zu Problemen in der Gasversorgung führen. In erster Linie würden dann die so genannten ungeschützten Kunden abgeschaltet werden, um das Netz zu stabilisieren – das ist immer das erste Ziel, was wir erreichen müssen. Ungeschützte Unternehmen sind Industriebetriebe und Gewerbebetriebe mit einem relativ hohen Gasanteil, die dürfte man dann laut Gesetz zuerst vom Netz nehmen. Wenn das nicht mehr reicht und man feststellt, unsere Drücke in den Gashochdrucknetzen fallen weiter ab, dann geht es sogar an die geschützten Kunden. Da unterscheidet man dann allerdings zwischen den Kunden, die unbedingt am Netz bleiben müssen, Krankenhäuser, Sozialeinrichtungen und dergleichen, und anderen, wie zum Beispiel ein Autohaus oder Baumarkt, bei denen das eher möglich wäre. Aber das sind alles Dinge, die erst spruchreif werden, wenn von der derzeitigen Alarmstufe auf die Notfallstufe umgestellt werden würde. Dann bestimmt die Bundesnetzagentur als Lastverteiler und gibt die Einzelheiten vor – wir sind dann nur ausführende Instanz.

Was den Strom betrifft sind wir in einem europäischen Verbundnetz.  Es kommt darauf an, wieviel Strom insgesamt zur Verfügung steht und wieviel verbraucht wird. Ob beispielsweise Frankreich seine Atomkraftwerke wieder hochfahren kann und so vom aktuellen Strombezieher wieder zum Stromeinspeiser wird und andere Faktoren, die schwer vorhersagbar sind. Wir haben uns aber auf alle möglichen Szenarien vorbereitet, sind Mitglied in den Krisenstäben und haben bereits einige Vorkehrungen getroffen.

 

Wie viele Unternehmen beliefern Sie mit Energie, die Sie bei Energieknappheit auf Anordnung der Bundesnetzagentur herunterregeln müssten?

Das betrifft zehn Kunden bei uns, die bestimmten Kriterien unterliegen.

 

Wie läuft das im Detail ab?

Diese zehn Unternehmen würden wir nach Vorgaben der Bundesnetzagentur ratierlich abschalten. Das heißt alle, um diskriminierungsfrei vorzugehen. Und wenn das alles nicht mehr reicht, wird es am Ende dann zu einer Gesamtabschaltung kommen.

 

Könnte das Firmen im Bestand bedrohen?

Da muss ich ganz klar sagen, wenn es sich hierbei um energieintensive Unternehmen handelt, die wirklich darauf angewiesen sind, größere Mengen an Energie, speziell an Gas einsetzen zu müssen für die Produktion, dann sind die im Bestand bedroht. Die ersten Beispiele gibt es ja schon. Ich befürchte, es werden weitere folgen.

 

Was sollten Unternehmer kurz- und mittelfristig tun, um sich von Versorgungsengpässen autark zu machen?

Das ist sehr unterschiedlich und hängt vom jeweiligen Unternehmen ab. Sich autark zu machen, wird nicht für jedes Unternehmen möglich sein. Um aber den Grad der Autarkie zu erhöhen, gibt es verschiedene Instrumente, beispielsweise die Möglichkeit, auf alternative Energien oder als Übergangsvariante auf Heizöl umzusteigen. Eine weitere Komponente ist, dass man sich Notstrom-Versorgungskonzepte aufbaut.

 

Was wünschen Sie sich von der Bundes- und Landesregierung zum Thema Energiesicherheit?

Ich möchte nicht in der Haut derjenigen stecken, die jetzt die richtigen Entscheidungen treffen müssen. Aber ich denke, es muss ein Mix aus mehreren Bestandteilen sein: So muss sicherlich weiter an der Verbreiterung der Bezugsquellen gearbeitet werden, dann wären entsprechende Energiepreisdeckel eine Möglichkeit und nicht zuletzt kann man auch über die Verstaatlichung von Gasimporteuren nachdenken. Das sind Dinge, die ich mir wünsche. Inwieweit diese Maßnahmen sich dann auswirken und welche Konsequenzen das dann hat, ob das überhaupt bezahlbar ist – das sind Dinge, die ich nicht einschätzen kann.

 

Peter Täufel

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